Geschichte der Gemeinde in Lörrach

Lörrach ist eine Kreisstadt mir derzeit knapp 50.000 Einwohnern im Südwesten Baden-Württembergs; sie liegt ca. fünf Kilometer vom Dreiländereck Deutschland – Frankreich – Schweiz entfernt.

Die ersten jüdischen Familien ließen sich in Lörrach nach Ende des Dreißigjährigen Krieges nieder. Um ihre Ansiedlung zu fördern, erließ man ihnen einen Teil des Schutzgeldes und gestattete freie Religionsausübung – allerdings nur, wenn sie in Lörrach ein neues Haus errichteten. Denn der durch den Krieg teilzerstörte Ort, der ab 1682 Stadtrechte besaß, sollte nämlich schnell wieder aufgebaut werden; zudem man erkannte die Bedeutung der Juden für die Belebung des hiesigen Handels. Um 1700 lebten in Lörrach – wie auch im gesamten badischen Oberland – keine Juden mehr; erst danach wurden wieder einige wenige jüdische Familien von den Markgrafen von Baden-Durlach aufgenommen; ihre Zahl blieb während des 18.Jahrhunderts nahezu konstant.

Ihre Gottesdienste hielten die Lörracher Juden lange Zeit in Privathäusern ab; in den 1890er Jahren mietete die kleine Gemeinde Räumlichkeiten in der Wallbrunngasse an und richtete hier einen Betraum ein. Als die Zahl der Gemeindeangehörigen anwuchs, beschloss die Gemeinde den Neubau einer Synagoge. Nach langwieriger Grundstückssuche wurde der Bau 1807/1808 in der Teichgasse erstellt; das genaue Datum der Einweihung der Synagoge ist nicht bekannt.

Außenaufnahme der Synagoge in Lörrach

Innenaufnahme der Synagoge in Lörrach

Außen- und Innenaufnahme der Synagoge in Lörrach (Aufn. aus: Hundsnurscher/Taddey, um 1920)

Im Synagogengebäude befand sich auch eine Mikwe; unmittelbar daneben entstand das jüdische Gemeindehaus, in dem die Schule untergebracht war. Eine 1857 erlassene Synagogenordnung sollte die oft in der Synagoge ausgetragenen „Differenzen“, die manchmal in Handgreiflichkeiten endeten, durch klare Regelungen beenden. Nach einer umfassenden Renovierung des Synagogengebäudes wurde es im Sommer 1899 durch den Bezirksrabbiner Dr. Lewin aus Freiburg – unter Teilnahme der gesamten Gemeinde – feierlich wiedereingeweiht.

Stellenangebot aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 5.10.1899

Stellenangebot aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 7.8.1924

Stellenangebote aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 5.10.1899 und vom 7.8.1924

Ihre Verstorbenen beerdigten die Lörracher Juden zunächst auf einem Flurstück am Schädelberg; diese seit ca. 1670 bestehende Begräbnisstätte diente auch zeitweilig den verstorbenen Juden aus Fischingen, Kirchen und Tumringen als „Guter Ort“; die letzte Beerdigung fand hier 1902 statt. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts wurde ein neues Areal an der Brombacherstraße – neben dem allgemeinen Friedhof – angelegt.

Zur Synagogengemeinde Lörrach – sie gehörte seit 1827 dem Rabbinatsbezirk Sulzburg an – gehörten auch die wenigen jüdischen Familien, die in den Dörfern der Umgebung lebten, so in Grenzach, Schönau, Schopfheim und Tumringen.

Juden in Lörrach:

1716 4 jüdische Familien
um 1728/30 keine
1738 3 jüdische Familien
1749 34 Juden
1778 8 jüdische Familien
1801 97 Juden
1825 127
1834 140
1864 191
1875 248
1900 204
1925 151
1933 (Juni) 162
1940 (Okt.) ca. 60
1942 2

Angaben aus: Henriette Ruprecht, Geschichte des deutschen Judentums – Geschichte der Lörracher Juden, S. 39/40 und F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden, Denkmale,.. , S. 182

Johann Martin Morath Lörrach
Johann Martin Morath Lörrach 2.jpg Lörrach um 1865 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Ihren Lebensunterhalt verdienten die Lörracher Juden zunächst vorwiegend im Viehhandel; auf dem Engelsplatz in Lörrach fand allmonatlich ein Viehmarkt statt. Erst im Laufe des 19.Jahrhunderts eröffneten Lörracher Juden in der Stadt verschiedene Einzelhandelsgeschäfte und andere kleinere Unternehmen. Grundlage war eine im Frühjahr 1803 erlassene Ordnung, in der es u.a. hieß:

„ .. Erteilen wir allen in Städten und Flecken den Schutz habenden Juden das Recht, ohne besondere Concession genau wie die Christen einen offenen Laden zu führen, jedoch muß jeder zuvor eine eigene Handlung erlernt haben, drei Jahre in der Fremde und zwar in guten Handelsstädten gewesen sein, glaubhafte Zeugnisse besitzen. … Nicht erlaubt ist gleichzeitig ‘kurze und lange Waren’ zu führen, vielmehr solle sich jeder mit der einen oder der anderen Ware begnügen. Auf dem Lande hingegen soll kein Jude schon durch den Schutzbrief allein zur Haltung eines offenen Ladens berechtigt sein, sondern gleich anderen Untertanen, besondere Concessionen hierzu bey uns einzuholen haben, wobei wir … die alte das Hausieren mit Ware verbietende Verordnung erneuern und solches sämtlichen Juden ausser Jahrmärkten bey Strafe der Confiscation der Waren verboten haben wollen.”

Die Lörracher Juden war in die kleinstädtische Gesellschaft integriert: So waren sie Mitglieder in Vereinen und nahmen auch rege am kommunalen Leben teil. Dieses friedliche Miteinander war auch noch zu Beginn der NS-Zeit bestimmend; die antisemitische NS-Hetze wurde von großen Teilen der Lörracher Einwohnerschaft nicht übernommen. Angeordnet von der NSDAP-Kreisleitung Lörrach wurde am 1.April 1933 der Boykott jüdischer Geschäfte durchgeführt: SA- und SS-Angehörige stellten sich mit Plakaten vor den betreffenden Geschäften auf. In dem Boykottaufruf waren tags zuvor NSDAP-Mitglieder davor gewarnt worden, in jüdischen Geschäften zu kaufen. Als der wirtschaftliche und auch psychische Druck auf die jüdischen Familien immer stärker wurde, gaben nach und nach immer mehr Juden ihre Geschäfte auf. Insgesamt waren bis 1938 etwa 100 Lörracher Juden abgewandert, die meisten jüdischen Geschäfte liquidiert bzw. „arisiert“ worden.

Am 10.November 1938 wurde die Inneneinrichtung der Lörracher Synagoge von SA-Angehörigen und NSDAP-Sympathisanten – darunter auch der Leiter und Bedienstete des Städtischen Werkhofes – mit Äxten zerstört, die Friedhöfe verwüstet und die jüdischen Männer für einige Wochen im KZ Dachau festgesetzt.

Synagoge nach dem Pogrom
Synagoge nach dem Pogrom (hist. Aufn., Center of Jewish history, aus: wikipedia.org, CCO)

Das Synagogengebäude wurde 1939 abgebrochen. Bis 1940 waren etwa zwei Drittel der jüdischen Bevölkerung Lörrachs emigriert. Im Oktober 1940 wurden ca. 50 Juden aus Lörrach nach Gurs deportiert; über ihr weiteres Schicksal ist kaum etwas bekannt.

Lörracher Juden vor dem Abtransport

Lörracher Juden vor dem Abtransport

Lörracher Juden vor dem Abtransport (aus: Ausstellung „Topographie des Terrors“, Berlin)

Nur eine einzige „in Mischehe“ verheiratete Jüdin blieb in Lörrach zurück. Mindestens 52 Angehörige der jüdischen Gemeinde aus Lörrach wurden Opfer der „Endlösung“.

Nach Kriegsende kehrten nur drei Lörracher Juden in ihre Heimatstadt zurück.

Auf dem Gelände der einstigen Lörracher Synagoge steht heute ein Wohn- und Geschäftshaus, an dem seit 1976 eine Inschriftentafel an das ehemalige Gotteshaus erinnert.

Hier stand die Synagoge der Israelitischen Gemeinde Lörrach, erbaut 1808
Sie wurde am 10.November 1938 unter der Herrschaft der Gewalt und des Unrechts zerstört.
(Abb. einer Menora)

Gedenktafel der Synagoge

Während auf dem alten Friedhof nur noch wenige Grabsteine bzw. -fragmente erhalten geblieben sind (das Areal wurde in der NS-Zeit weitestgehend „abgeräumt“), weist der neue jüdische Friedhof an der Brombacher Straße ca. 150 Grabsteine auf.

Gelände des alten jüdischen Friedhofs
Gelände des alten jüdischen Friedhofs
Aufn. J. Hahn, 2003

Eingangstor zum neuen Friedhof
Eingangstor zum neuen Friedhof
Aufn. J. Hahn, 2003

Jahrhundert-Plastik
Die „Jahrhundert-Plastik“, Aufn. J. Hahn, 2009

Die von dem Bildhauer Bernd Goering geschaffene „Jahrhundert-Plastik“ erinnert an drei „Jahrhundert-Ereignisse“ des 20.Jahrhunderts, so auch an die Pogromnacht von 1938.

2005 wurde im Hof des Museums am Burghof ein von Schülern der Theodor-Heuss-Realschule gestalteter Gedenkstein für die Deportationsopfer des Lagers Gurs aufgestellt, dessen Gegenstück sich auf dem Gelände der zentralen badischen Gedenkstätte in Neckarzimmern befindet.

Gedenkstein im Museumshof

Gedenkstein in Neckarzimmern

Gedenkstein im Museumshof (Aufn. S. Ehrentreich) und in Neckarzimmern (aus: mahnmal-neckarzimmern.de)

Seit 1995 gibt es in Lörrach wieder eine jüdische Gemeinde. 2015 setzte sie sich aus knapp 500 Mitgliedern zusammen; es sind zumeist Zuwanderer aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Die Gemeindemitglieder leben in der Region zwischen Badenweiler und Waldshut. Sieben Jahrzehnte nach der Zerstörung der alten Synagoge wurde in den Novembertagen 2008 im Beisein von baden-württembergischen Ministerpräsident Oettinger ein neues jüdisches Gemeindezentrum eingeweiht; das würfelförmige Bauwerk befindet sich in der Innenstadt an der Ecke Spital-/Rainstraße.

Prozession mit Thorarollen
Prozession mit Thorarollen, Aufn. N. Trenz, 2008

Neues Gemeindezentrum in Lörrach
Neues Gemeindezentrum in Lörrach
Aufn. Wladyslaw Sojka, 2014, aus: wikipedia.org, FAL – www.sojka.photo

Seit 2011 besitzt die jüdische Gemeinde, deren Angehörige zumeist in Lörrach und Weil leben, einen eigenen Rabbiner. Eine 1938 aus der Lörracher Synagoge entwendete Esther-Rolle kehrte 2009 in die Hände der neuen Gemeinde zurück, die diese dem Museum am Burghof übereignete.

In Lörrach hat man sich – aus verschiedenen Gründen – bislang gegen die Verlegung von „Stolpersteinen“ entschieden. Hingegen wurde 2011 eine Gedenkstele an der Ecke Teichstraße/Spitalstraße errichtet, die auf die Deportation ehemaliger jüdischer Bewohner aufmerksam macht; der auf der Stele erscheinende Text ist in vier Sprachen abgefasst. Das Mahnmal trägt zudem die Namen von 52 Menschen, die als Opfer der Verschleppung bekannt sind.

Aktuell (2018) beschäftigt man sich in der Kommunalvertretung erneut mit dem Thema „Stolpersteine“; nachdem diese Art des Gedenkens vor Jahren mehrheitlich von der Israelitischen Kultusgemeinde abgelehnt worden war.

Als mögliche Form des Gedenkens ist die Schaffung eines Rundweges im Gespräch, der die jüdische Geschichte Lörrach erlebbar machen soll; so könnte der Rundweg u.a. auch an den Stanorten der ehemaligen von Juden betriebenen Geschäfte vorbeiführen, so in der Basler Straße am Kaufhaus Knopf, in der Teichstraße am Schuhhaus Bodenheimer und an der Metzgerei Beck, in der Turmstraße am Textilhaus Erreich.

Schopfheim

In Schopfheim – ca. 15 Kilometer östlich Lörrachs gelegen – ist 1650 erstmals ein jüdischer Bewohner erwähnt. Eine Gemeinde konnte sich hier nicht bilden, da die Zahl der jüdischen Familien stets sehr gering war. 1875 lebten hier 17 jüdische Mitbürger, 1925 waren es 23, 1933 noch 18; bis 1940 stieg deren Anzahl wegen der Evakuierungen am Rhein auf bis zu 40 Personen.

Der Israelit vom 5. Oktober 1897
Kleinanzeige in der Zeitschrift
„Der Israelit“ vom 5. Oktober 1897

Denkmal für die Deportationsopfer
Denkmal für die Deportationsopfer
Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de

Anfang der 1930er Jahre bestanden noch die folgenden jüdischen Gewerbebetriebe/Geschäfte: das Textilwarengeschäft Lehmann Hirschel und die Manufakturwarenhandlung Maier Mayer (beide in der Hauptstraße), die Viehhandlung Salomon Auerbacher (Wallstraße) und das Konfektionsgeschäft Pollag-Picard (Scheffelstraße).

Einige Familien verließen Schopfheim noch vor dem 22. Oktober 1940 (Evakuierung nach Gurs), einige starben eines natürlichen Todes und acht konnten noch rechtzeitig in die USA und in die Schweiz emigrieren. Neun Schopfheimer Juden wurden Opfer der „Endlösung“; ihnen wurde 2007 ein Gedenkstein gewidmet, der vor der Alten Kirche St. Michael steht.

Eine Konfirmandengruppe der Evang. Kirchengemeinde St. Michael Ost und Eichen erstellte den Memorialstein im Rahmen des landesweiten Jugendprojektes zur Erinnerung an die Deportation der badischen Juden vom Oktober 1940.

Anm.: Eine zweite Ausführung des Steines befindet sich beim zentralen Mahnmal in Neckarzimmern.

Mit freundlicher Genehmigung wiedegegeben von jüdische-gemeinden.de, dort finden sich auch alle Quellenangaben.